NS-Kunst im Museum?

NS-Kunst im Museum?

NS-Kunst im Museum?

Raum "Panoptikum" der Ausstellung MIX & MATCH

Pinakothek der Moderne | Sammlung Moderne Kunst | Saal 4

Seit September 2022 präsentiert sich die Sammlung Moderne Kunst mit einer Neuhängung mit rund 350 Werken von mehr als 150 Künstler:innen aus dem Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Die neue Präsentation folgt nicht mehr dem Prinzip der chronologischen Gruppierung. Unter dem programmatischen Ausstellungstitel MIX & MATCH begegnen sich Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und Videokunst erstmals in epochen- und medienübergreifenden Themenräumen

Der Raum, der nach Josef  Scharls Gemälde "Panoptikum" betitelt wurde, zeigt Künstler der modernen Avantgarde wie Otto Freundlich, Pablo Picasso und Josef Scharl neben Francis Bacon und dem zeitgenössischen Künstler Thomas Helbig. Auf der gegenüberliegenden Seite von Bacons Triptychon "Crucifixion" hing bis September 2023 das Triptychon des NS-Künstlers Adolf Ziegler „Die vier Elemente: Feuer, Erde und Wasser, Luft“.

Das Triptychon „Die vier Elemente“ von Adolf Ziegler ist als Leihgabe vom 11. November 2023 bis 24. März 2024 in der Sonderausstellung „Art in the Third Reich. Seduction and Distraction“ im Museum Arnhem in den Niederlanden zu sehen.

Warum im Raum "Panoptikum" zum Thema Körper, Norm und Kritik in der Körperdarstellung auch das Triptychon von Adolf Ziegler als Werk nationalsozialistischer Kunst gezeigt wurde, lesen sie hier:

Panoptikum

Jeder Mensch ist anders! Jede Gesellschaft besteht aus vielen einzelnen Persönlichkeiten mit jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen, individuellen Biografien und eigenen Lebenskonzepten.

Es zählt bis heute zu den größten Herausforderungen eines Staates, den Bedürfnissen aller Menschen gleichermaßen gerecht zu werden. In diktatorischen Systemen wie dem Nationalsozialismus wurden Körper- und Geschlechterideale ideologisch definiert, normiert und von systemkonformen Künstler:innen propagiert. Gegen solche vereinfachenden und manipulativen Rollenbilder wie auch gegen einseitige Klischees und Moralvorstellungen haben kritische Künstler:innen bewusst offene Perspektiven entwickelt. Sie spiegeln die Vielfalt und Schönheit verschiedenster möglicher Identitäten und setzen ein Zeichen für Solidarität und Toleranz.

Saalansicht Raum Panoptikum in der Pinakothek der Moderne mit Werken von Adolf Ziegler („Die vier Elemente“, vor 1937), Thomas Helbig („Maschine“, 2004) und Josef Scharl („Dirne“, 1931), Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Margarita Platis

Adolf Ziegler, Die vier Elemente

Das Triptychon "Die vier Elemente" gehört zu den bekanntesten Werken der Kunstproduktion im Nationalsozialismus. Die vier stilisierten Frauenakte repräsentieren rassistische Körperideale der nationalsozialistischen Ideologie. Das Gemälde wurde auf Postkarten und in Zeitschriften bis 1945 massenhaft reproduziert. Der weitgehend unbekannte Künstler Adolf Ziegler war aufgrund seiner persönlichen Beziehung zu Adolf Hitler 1934 zum Professor der Münchner Akademie der Bildenden Künste ernannt worden und stieg 1936 zum Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste auf. In dieser Funktion führte Ziegler 1937 landesweite Beschlagnahmungen moderner Kunst in deutschen Museen für die Feme-Ausstellung "Entartete Kunst" durch und eröffnete die Schau mit einer diffamierenden Hetzrede. 1953 wurde das Gemälde als Teil des eingezogenen NDSAP-Vermögens auf Grundlage alliierter Direktiven Eigentum des Freistaats Bayern und für das Inventar der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ausgewählt.

Bewusst haben wir, die Kurator:innen der Sammlung Moderne Kunst, uns entschieden, "Die vier Elemente" als Bestandteil der Sammlung zu zeigen. Wir tun dies nicht, um Kunstwerke des Nationalsozialismus in ihrer menschenverachtenden Programmatik zu relativieren oder gar zu etablieren. Vielmehr wollen wir deren normierende Ästhetik mit modernen Positionen konfrontieren und eine Diskussion über NS-Kunst in Kunstmuseen anregen.

Die Kurator:innen der Sammlung Moderne Kunst

Weitere Informationen:

  • Blogbeitrag Diskussion um Raum "Panoptikum" | MIX & MATCH
  • Brief von Georg Baselitz (September 2022) mit Kritik zur Ausstellung von Adolf Zieger.
  • Arte-Beitrag "Streit um NS-Kunst" zu Brandbrief von Georg Baselitz (September 2022).
  • Vortrag von Christian Fuhrmeister über "Adolf Zieglers Werke. Kunst oder historisches Zeugnis?" (9. Juli 2015) verfügbar in unserem YouTube-Kanal.
  • Beitrag von Johannes Gramlich und Jochen Meister über „Die Vier Elemente“ von Adolf Ziegler auf unserem Blog.
  • Broschüre mit Erläuterungen zu den 2016 in der Pinakothek der Moderne ausgestellten Werken "Künstler im Nationalsozialismus" hier zum Download |PDF.
  • Alle 2016 ausgestellten Werke verzeichnet in unserer Online-Sammlung und in der Übersicht hier zum Download | PDF.
  • Eine ausführliche Darstellung des Ausstellungskonzeptes bietet Oliver Kase in seinem Aufsatz „Die Ausstellung 'GegenKunst' in der Pinakothek der Moderne. Konzept - Reaktionen - Konsequenzen.“ hier zum Download | PDF.
    (Erschienen 2017 im Ausstellungskatalog der Städtischen Galerie Rosenheim „vermacht. verfallen. verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus“, erhältlich über den Michael Imhof Verlag).
  • Der Ausstellungsflyer zu GegenKunst (2015) hier zum Download | PDF.
  • Podiumsdiskussion sowie Vorträge des Symposiums GegenKunst (2. Juli 2015) sind verfügbar in unserem YouTube-Kanal.